Hoffnungen und Risiken von Städtefusionen

eine Hand hält eine Lupe über Buchstaben, die das Wort facts ergeben Bildrechte

Das Positionspapier des Gemeinderates und des Bürgermeisters der Gemeinde Ellefeld
(veröffentlicht im Amtsblatt Ellefelder Bote 15.02.2022)

Anlass:

Die Städte Rodewisch und Auerbach wollen laut Presseberichten mit Zitaten der jeweiligen Bürgermeister/in ab dem Jahr 2022 eine Einheitsstadt von Rodewisch, Auerbach, Falkenstein und Ellefeld (bisher Städteverbund Göltzschtal) forcieren. Die Gemeinde Ellefeld möchte gern eigenständig bleiben und setzt auf Interkommunale Zusammenarbeit.

Es läuft eine öffentliche Debatte... deshalb haben wir einige Fakten aus einer Studie über bereits erfolgte Städtefusionen zusammengestellt.

Wir hoffen, dadurch - so objektiv wie möglich - zur Meinungsbildung beitragen zu können. Die gesamte Studie ist weiter unten im Text verlinkt. Es gibt nahezu keine weiteren wissenschaftlichen Studien, die sich rückblickend und auswertend mit durchgeführten Städtefusionen befassen.


Grundsatz:

Nur in wenigen Fällen kann tatsächlich belegt werden, dass bei Städtefusionen die angestrebten Effizienz- und Einsparungspotenziale gehoben werden konnten. Zusätzlich gibt es kaum einen nachvollziehbaren rechnerischen Ansatz, um dies belegen zu können, und wenn es überhaupt irgendwie möglich ist, braucht es Jahre bis zu einem aussagekräftigen Ergebnis.


Die Hoffnungen:

Eine Einheitsstadt nach Städtefusion

  • hat eine größere Einwohnerzahl und bekommt deshalb mehr finanzielle Zuweisungen, als kleinere Kommunen einzeln.
     
  • hat mehr Gewicht bei Verhandlungen mit und bei Entscheidungen durch Behörden auf Landkreis- und Landesebene.
     
  • könnte freiwillige kommunale Aufgaben erhalten oder sogar zusätzliche freiwillige Aufgaben übernehmen, wie z.B. Freizeitbäder, Kultureinrichtungen usw.
     
  • könnte langfristig die Kosten für den Verwaltungsapparat senken und die Verwaltungsarbeit gezielt qualitativ spezialisieren.
     
  • könnte ein höheres Maß an Investitions- und Infrastrukturausgaben tragen und dadurch attraktiver werden und auch neue Einwohner anziehen.


Die Risiken:

Bei bzw. nach einer Städtefusion

  • könnten die kurzfristigen Umstellungs- und Übergangskosten sowie Ballungs- und Transaktionskosten die erhofften Einsparungen und Synergieeffekte aufbrauchen.
     
  • könnten sich die erhofften Kostenersparnisse nicht erfüllen, da kommunale Ausgaben eher von der Gemeindefläche und der Einwohnerdichte, und weniger von der Einwohnerzahl abhängig ist – z. B. Ausgaben für Straßen, ÖPNV, Schülerverkehr und Feuerschutz.
     
  • entwickelt sich das jährlich zur Verfügung stehende Geld (Haushaltsvolumen) weiterhin wie üblich - nämlich proportional zur Einwohnerzahl. Das heißt, sinkende Einwohnerzahl bringen weiterhin ein sinkendes Haushaltsvolumen, so dass man mit der Zeit wieder an einen finanziellen Engpass kommen könnte.
     
  • erhöht sich das Lohnniveau in den Verwaltungen, u.a. durch die Aufwertung des Bürgermeisterpostens. Auch die Bezüge der amtsabgebenden Bürgermeister müssen bis zum Ende der ursprünglichen Wahlperiode in gleicher Höhe weiterbezahlt werden. Außerdem sind den amtsabgebenden Bürgermeistern neue angemessene Arbeitsfelder zu überlassen, die auch nach Ablauf der ursprünglichen Wahlperiode ausgeführt werden können.
     
  • haben alle weiteren Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung Übernahme- und Jobgarantien, die weiter finanziert werden müssen.
     
  • es ist nicht erwiesen, dass größere Verwaltungseinheiten weniger Aufgaben und dadurch weniger Personalbedarf haben.
     
  • gibt es einen sehr bekannten negativen Effekt der Verwaltungszentralisierung:
    Wo der Sitz der neuen Verwaltung entsteht, da gibt es zusätzliche Arbeitsplätze und Angebote. Dort, wo der Verlust der Verwaltungssitze erfolgt, kommt es zu einem Bevölkerungs- und Angebotsrückgang. Auch könnte es dadurch zu weiteren Zentralisierungen kommen, z.B. Sitze von Krankenkassen, Geldinstitute, Gerichte, Fachärzte und Polizeireviere.
     
  • gibt es zunehmend weniger Gemeinden/Städte, was auch bedeutet, dass es weniger Auswahl im „Produktmix“ öffentlicher Leistungen und Abgaben für die Bürger gibt.
     
  • weisen bisherige Studien kaum darauf hin, dass es zu einer Erhöhung der Qualität und der Effektivität im Verwaltungshandeln kommt. Ein wichtiger Grund für diese fehlende Qualitätssteigerungen könnte in den zunehmenden (räumlichen) Entfernungen in größeren Einheiten liegen. Hierdurch steigen Informationsaufwand und -kosten der Verwaltung.
     
  • Weitere Nebenwirkungen einer Städtefusion, die beobachtet wurden:
     
    • sinkende Wahlbeteiligung der Bürger
      (weil die eigene Stimme in der Masse der Einwohner als nicht wichtig empfunden wird)
       
    • steigende Stimmanteile für rechtspopulistische Parteien
      (Unzufriedenheit/Vertrauensverlust mit Kommune/Verwaltung)
       
    • Ungleichheit im wirtschaftlichen Wachstum innerhalb der neu gebildeten Stadt. Neue Zentren werden ausgebaut, neue und größere Randgebiete entstehen
       
    • Nachlassen des ehrenamtlichen Engagements, weil die Identifikation mit der Kommune nachlässt

Zusammenfassung:

  • Vergrößerte Gebietsstrukturen (Städtefusionen) könnten ins Leere laufen, wenn das Ziel darin besteht, einem (voraussichtlichen) Bevölkerungsschwund entgegenzuwirken, weil
     
    • kleinere Einheiten den Vorteil bieten, dass man flexibel auf unterschiedliche demografische Entwicklungen eingehen kann.
       
    • kleinere Einheiten niedrigere Hürden für die Beteiligung der Bürger bieten und dadurch auch Bürgeranliegen eher von Angesicht zu Angesicht vor Ort und mit individuell angepasstem Ermessensspielraum im Sinne der Bürger klären könnten.
       
    • Die zunehmende Komplexität im Verwaltungshandeln sowie der steigende Mangel an Fachkräften im öffentlichen Dienst sprechen aber punktuell für größere Einheiten in einzelnen Aufgabenfeldern der Kommunen.
       
    • Interkommunale Kooperationen, die je nach Bedarf gebildet und wieder gelöst werden können, bieten eine geeignetere institutionelle Basis, dem Bevölkerungsschwund entgegen zu wirken, als Gebietsreformen/Städtefusionen.

Quelle: Kausale Evidenz zu Hoffnungen, Risiken und alternativen Instrumenten von Sebastian Blesse und Felix Rösel/ ZEW Mannheim/ Ifo Institut, Dresden 2017


Position und Standpunkt von Bürgermeister und Gemeinderat der Gemeinde Ellefeld:

  • Wir haben uns zur Wahl gestellt, um im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung als Ellefelder für Ellefeld und für die Einwohner des Ortes zu gestalten und zu entscheiden.
     
  • Wir wurden gewählt, um das Wohl der Einwohner der Gemeinde Ellefeld zu vertreten, soweit das im Rahmen der Gesetze und der Bestimmungen zur kommunalen Selbstverwaltung möglich ist. Im Vordergrund steht dabei, dass wir eigene Entscheidungen in Vertretung der Einwohner treffen können.
     
  • Wir folgen dem Grundsatz, dass sparsam haushalten und Akquirieren von Fördermitteln nebeneinander und nicht in Abwägung zueinanderstehen.
     
  • Wir sehen die Lösung der derzeit bestehenden demografischen Probleme nicht allein vordergründig in der Abgabe der kommunalen Selbstbestimmung, sondern eher im Kräfte bündeln und im Angebot individueller Lebensangebote, die sich gegenseitig bereichern.
     
  • Wir stehen jederzeit für offene Gespräche bereit und bieten dazu bei jeder Gemeinderatssitzung die Gelegenheit.

Deshalb werden wir uns weiterhin für den Erhalt der Eigenständigkeit der Gemeinde Ellefeld einsetzen und sind jederzeit für situative oder punktuelle Zusammenarbeit über die Ortsgrenzen hinaus bereit und unterstützen jede Art der selbstbestimmten Zusammenarbeit, u.a. im Mittelzentralen Städteverbund Göltzschtal.

Ellefeld, 15.02.2022

Gemeinderat der Gemeinde Ellefeld
Frau Maria Tittel
Herr Andreas Kühn
Frau Mandy Kretzschmar
Herr Steffen Ebert
Herr Daniel Mädler
Herr Jürgen Mädler
Herr Hagen Schädlich
Herr Mike Müller
Herr Thomas Kasiske
Herr Karsten Bauer
Herr Michael Vogel
Herr Bernd Bauer
Herr Heiko Trommer
Herr Matthias Lorenz
Herr Martin Mailach
Bürgermeister Jörg Kerber